Menschenrechte und Lippenstift
Nie hätte ich für möglich gehalten, wie sehr ich verlängerte Wimpern, Lippenstift und Trägerkleid bei einem Menschen als Haltung empfinden könnte. Ja geradezu als politisches Statement. Doch der Reihe nach: Was ich von der überaus mutigen, türkisch-kurdischen Anwältin und Menschenrechtsaktivistin über Kleidungsstil gelernt habe. Ein Plädoyer für kompromisslose Individualität von Frauen.
Ich sehe Eren Keskin im Film mit hochtoupiertem Haar – so etwas wie Amy Winehouse – , geschminkt und mit einem schulterfreien Kleid. Sie ist jetzt 64 und einfach eine eindrucksvolle. Früher habe ich gedacht, eine Anwältin, Wissenschaftlerin, Forscherin sollte wenig geschminkt sein, keinen Nagellack tragen und selbstverständlich „seriöse“ Kleidung tragen. Einen Hosenanzug, einen Blazer, wenigstens eine mehr oder weniger geschlossene Bluse. So sah stilsicher für mich aus. Aber ganz bestimmt kein schulterfreies Oberteil.
Beim Tag des verfolgten Anwalts (das könnte man auch mal ändern in Tag der verfolgen Anwält:innen) habe ich im Nürnberger Multiplexkino Cinecitta den wunderbaren Dokumentarfilm Eren angesehen. Er handelt von Eren Keskin, die seit über 30 Jahren als Rechtsanwältin für Grundrechte und Frieden in der Türkei kämpft. Vor allem engagiert sich Eren Keskin als Menschenrechtsverteidigerin für die Rechte von Frauen, LGBTQIA, Kurd:innen und Armenier:innen. Vor allem auch kämpft sie gegen Folter und sexualisierte Gewalt durch Vertreter des türkischen Sicherheitsapparates. „Hier hat sich tatsächlich etwas geändert“, erzählt denn auch Maria Binder, die Dokumentarfilmerin und Urheberin des Werkes, nach Ende der Vorführung.
Im Film sieht man die Anwältin telefonieren mit ihren Klienten zwischen Regalmetern von Aktenordnern hinter und Bergen weiterer Ordner vor sich. Wenn sie ein Schriftstück sucht, muss sie erst den richtigen Stapel finden und diesen dann geschickt nach oben heben, ohne dass er umfällt und die monate-, ja jahrelange Arbeit auf den Boden fällt. Ihr ganzes Arbeitszimmer ist voll von Akten und Papieren, diese Ergebnisse hartnäckiger Arbeit für Menschen rücken ihr in mancher Einstellung geradezu auf den Leib.
In dieser gleichförmigen Unerbittlichkeit von Aktenordnern, einem eng gedrängten Arbeitszimmer und einer von den Verhältnissen im Staat vorgegebenen Strenge ist der Kopf der Anwältin mit ihrer dunkelhaarigen, aufragenden Hochsteckfrisur, den rot umrandeten Lippen und einem entschiedenen Lidstrich geradezu ein Fanal einer auftrumpfenden Aussage zum Leben. Die nackte Haut ihrer Schultern ein Statement. Verletzlichkeit und Kampfansage gleichermaßen.
Ein Kleid von der Transfrau
„Dieses Kleid wird Ihnen prächtig stehen, ich kann Ihnen noch mehr davon mitbringen“, sagt eine Transfrau zu Eren Keskin, stolz, sich ein wenig von Frau zu Frau auszutauschen. Auch diese Klientin vertritt Eren Keskin. Die Dankbarkeit der Klientin drückt diese aus, indem sie der Anwältin einige Kleidungsstücke mitbringt, die ihr gefallen könnten. Keskin nimmt es mit einem freundlichen, kurzen Nicken an, konzentriert sich dann wieder auf ihr Gegenüber und den Fall. „Sie haben meine Wohnungstür verriegelt“ erzählt die Klientin. Nachbarn machen ihr das Leben schwer. „Das dürfen die nicht. Sagen Sie einfach, Sie haben eine Anwältin“, rät Eren Keskin kurz und klar.
Eren Keskin verleiht denen eine Stimme und juristischen Beistand, die in der Türkei besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt sind. Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt werden, Minderheiten und dabei gerade auch Kurdinnen und Kurden. Sie selbst ist kurdisch-tscherkessischer Abstammung. Sie engagiert sich im Menschenrechtsverein IHD und ist Leiterin der Instanbuler Sektion. „Sie war schon als Kind unglaublich wissbegierig und aufmerksam. Das hat sie von mir“, sagt die Mutter von Eren Keskin verschmitzt.
Eren Keskins Mut und Unerschrockenheit sind beeindruckend. Sie vertrat Abdullah Öcalan, der sich für die Kurden einsetzte, sie nimmt den Begriff Kurdistan in den Mund, das mit größten Schwierigkeiten in der Türkei verbunden ist und sie spricht auch vom Genozid, dem Völkermord, der zwischen 1915 und 1916 an den Armeniern im Osmanischen Reich stattfand. Bis heute bestreitet der türkische Staat diese von zahlreichen Historiker:innen bewiesene Tatsache.
„Sexualität ist in der Türkei ein Tabu.“
Die Angst des türkischen Staates vor dem Mut der Anwältin und ihrer Mitstreiter:innen ist groß: Etwa 140 Gerichtsverfahren wurden gegen sie eingeleitet. Über 26 Jahre Haft- sowie diverse Geldstrafen drohen ihr. Im Dokumentarfilm sehen wir einen befreundeten Anwalt, der ihr regelmäßig wie ein Buchhalter auflistet, wie gerade der aktuelle Stand der gegen sie eingeleiteten Strafen ist. Die auf mehreren A4-Blättern sorgfältig aufgeführten Strafen quittiert sie mit wenigen Worten: „ja lebenslang, ich weiß“. Und wendet sich dann wieder einem ihrer Fälle zu.
Aber diese Frau hat auch den Mut, zu weinen, wenn sie Angst davor hat, abgeholt zu werden. Es könne jeden Tag soweit sein, sagt sie mehrmals in die Kamera. Dann streichelt sie ihre Katze und lässt ihrer Verzweiflung Raum über den Tod so vieler Weggefährten, vor allem in den 1990er Jahren. Um am nächsten Tag wieder unterwegs zu einer Rede, einem Treffen, einem Interview zu sein.
„Sexualität ist in der Türkei ein Tabu“, sagt sie, eine Zigarette rauchend, in jüngeren Jahren. Maria Binder begleitet sie für ihren Dokumentarfilm schon seit einigen Jahren. Und in einem Satz im Verlauf des Film spricht Eren davon, dass sie in ihrer ungewollten Ehe Gewalt erlebt hat. Von dieser Ehe hat sie sich frei gemacht. Sie weiß also, wovon sie spricht, wenn sie sich für Frauen einsetzt. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie sich für die Belange der Kurd:innen einsetzt. Und immer wieder kommen Klient:innen zu ihr, rufen an. Viele wünschen sich von der mit zahlreichen, internationalen Preisen geehrten Aktivistin, sie möge in die Politik gehen. Wenn sie mit ihrer eindrucksvollen Brille, der dunkelhaarigen Hochsteckfrisur und den rot umrandeten Lippen, auf denen zwischen dem roten Konturstrich ein wenig rote Farbe verblasst ist, vor ein Mikrofon tritt und mit klaren Worten Gewalt und Unrecht benennt, dann ist ihre kraftvolle Weiblichkeit präsent.
Kleidungsstil als politische Ikonografie prominenter Frauen
Natürlich ist Eren Keskin eine Ikone geworden. Ein Sinnbild einer selbstbewussten, eigenständigen, schönen Frau, die mit ihrem Wirken den einen ein lästiger Stachel im international wirksamen Fleisch ist und den anderen kraftvolle Hoffnung in der Zurückerlangung ihrer Freiheitsrechte. Sinnbild einer starken und zugleich verletzlichen Frau. Deren nackte Haut für Schutzlosigkeit genauso steht wie für Freiheit. Für Lebenslust, für eine Entscheidung, den eigenen Körper, das eigene Leben in die eigene Hand zu nehmen, für das, was frau wichtig ist. Für ihre Würde und die ihres Landes. Deshalb hat mich der Stil von Eren Keskin, ihre wortlose Aussage, die darin liegt, im Inneren berührt.
Dass berühmte Frauen zur Ikone werden, die in der Popkultur weiterleben, kennen wir von zahlreichen Frauen. Ob Cleopatra, Marlene Dietrich oder Mutter Teresa. Ob Marilyn Monroe, Maria Callas oder Lady Gaga. Legendär sind Audrey Hepburn und Frieda Kahlo. Auch die besondere Ausstrahlung der jungen Lyrikerin Amanda Gorman oder das umfassende Wirken der Primatenforscherin Jane Goodall, noch im Alter wunderschön, nehmen uns gefangen. Besonders Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Designerinnen usw. gewinnen im Laufe der Zeit eine öffentliche Erscheinung, die einzigartig ist. Die uns fasziniert, weil diese Erscheinung für etwas steht, das uns begeistert oder auch mal verstört.
Ein weiteres Beispiel ist die finnisch-estnische Schriftstellerin und Aktivistin Sofi Oksanen, die mit sehr bunten, langen Haaren und Kleidung ebenfalls eine eindrucksvolle Frau ist. Mit ihren biografischen Erfahrungen, der Familiengeschichte und ihren heutigen Texten gibt sie uns eine wertvolle, neue Perspektive auf das zerstörerische, patriarchale Machtstreben der Sowjetunion, dann Russlands. Oksanen seziert den langen, sehr eigenen russischen Weg, der nicht nur gegen die Ukraine einen besonders frauenverachtenden, familienzersetzenden Krieg führt. Ein Interview mit ihr ist höchst sehenswert (auch die respektvoll-achtsame Art der Interviewführung durch den männlichen Moderator hat mich begeistert). Dagegen ein starkes, weibliches Statement lustvoller Individualität zu setzen, ist dann eben auch politisch.
Gerade auch für Frauenrechte und Gleichberechtigung haben sich zahlreiche prominente Frauen eingesetzt, indem sie das Potential der eigenen Inszenierung nutzten. Von einem Social Me spricht die Unternehmerin Tijen Onaran. Sie setzt sich für Diversität und Frauenrechte ein; in ihrem Buch „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ führt sie aus, was frau bei der souveränen Darstellung in den (sozialen) Medien tun, aber auch unterlassen sollte, um wahrgenommen zu werden, dabei aber seriös zu bleiben.
Kleidung und Identität – was sagt die Wissenschaft?
Kleidung ist weit mehr als nur eine praktische Notwendigkeit; sie spielt eine zentrale Rolle in der Art und Weise, wie Frauen ihre Identität ausdrücken und wahrnehmen. Eine Studie der Emory University zeigt, dass Kleidung und Modestil signifikante Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und das Wohlbefinden haben. Frauen, die sich in ihrer Kleidung wohlfühlen und ihren persönlichen Stil zum Ausdruck bringen können, haben tendenziell ein stärkeres Selbstbewusstsein und eine positivere Selbstwahrnehmung.
Kleidungsstil hängt zudem stark mit Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. Eine Untersuchung unter israelischen Frauen ergab, dass bestimmte Kleidungsstile wie urban, romantisch oder klassisch mit spezifischen Persönlichkeitsmerkmalen verbunden sind. Beispielsweise neigen extrovertierte Personen dazu, auffälligere und urbanere Stile zu bevorzugen, während gewissenhafte Personen eher klassische und ordentliche Kleidung wählen. (Ich frage mich allerdings, was zieht frau an, wenn sie Beides ist?)
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass Kleidung eine bedeutende Rolle fürs emotionale Wohlbefinden spielen kann. Eine qualitative Studie der Toronto Metropolitan University untersuchte, wie Kleidung das Selbstkonzept und die Stimmung von Frauen beeinflusst. Diese Forschung ergab, dass die richtige Kleidung nicht nur das Selbstbewusstsein stärkt, sondern auch die Stimmung heben und das allgemeine Wohlbefinden verbessern kann.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich ziehe mich inzwischen besonders sorgfältig und farbenfroh an, wenn es mir mal nicht so gut geht. Auch der Lippenstift darf mir dann ein wenig mehr buntes Leben ins Gemüt zaubern. Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Wahl der Kleidung ein Mittel zur sozialen Kommunikation und Identitätsbildung ist. Frauen nutzen Mode, um bestimmte Aspekte ihrer Identität zu betonen oder zu verschleiern und sich in verschiedenen sozialen Umgebungen entsprechend anzupassen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kleidung ein starkes Werkzeug ist, das Frauen nutzen, um ihre Identität zu formen und auszudrücken. Sie beeinflusst nicht nur das Selbstbild und die Persönlichkeit, sondern auch das emotionale Wohlbefinden und die Art und Weise, wie sie von anderen wahrgenommen werden.
Mit diesen Schreibtipps findest du mehr über dich und deinen Kleidungsstil heraus
Mode-Tagebuch führen
Ein Mode-Tagebuch hilft dir, Muster und Vorlieben im eigenen Kleidungsstil zu erkennen und zu analysieren. Notiere vier Wochen lang, was du getragen, wie du dich darin gefühlt und welche Reaktionen von anderen bekommen hast. Fragen, die dabei helfen können:
- Welche Kleidung trage ich an meinen besten Tagen?
- Wie fühle ich mich in bestimmten Outfits?
- Welche Stücke in meinem Kleiderschrank tragen die schönsten Erinnerungen?
Durch das regelmäßige Reflektieren über diese Aspekte kannst du besser nachvollziehen, welche Kleidung deine Stimmung am besten unterstützt.
Persönliche Modestory schreiben
Eine autobiografische Erzählung über den eigenen Kleidungsstil und seine Entwicklung im Laufe der Jahre kann aufschlussreich sein. In dieser Geschichte sollten wichtige modische Phasen, Einflüsse und Veränderungen festgehalten werden. Leitfragen können sein:
- Wie hat sich mein Kleidungsstil im Laufe der Jahre verändert?
- Welche Personen oder Ereignisse haben meinen Stil geprägt?
- Welche Kleidungsstücke haben eine besondere Bedeutung für mich?
Das Schreiben einer solchen Modestory hilft, die Verbindung zwischen persönlicher Entwicklung und Modebewusstsein zu erkennen.
Kleidung als Selbstporträt
Ein kreativer Ansatz ist, ein Selbstporträt durch die Beschreibung eines Lieblingsoutfits zu erstellen. Dabei sollte detailliert beschrieben werden, warum dieses Outfit gewählt wurde und was es über die eigene Persönlichkeit aussagt. Hier ein paar Fragen zur Anregung:
- Warum ist dieses Outfit mein Favorit?
- Welche Aspekte meiner Persönlichkeit spiegelt es wider?
- Wie fühle ich mich, wenn ich es trage, und warum?
Durch diese Übung kannst du tiefere Einblicke in die Symbolik und Bedeutung deiner Kleidungswahl gewinnen.
Der richtige Stil drücke sich in Zeitlosigkeit aus und unterstreiche das individuelle Gesamtbild, verrät eine Bekleidungsfirma im Netz. Deshalb wähle deinen Kleidungsstil, das Make-up oder kein Make-up, die Frisur, so, wie es sich für dich richtig anfühlt. Gestalte. Es ist dein Leben, deine Sicht auf das Leben, es sind deine Gefühle, dein Lebensausdruck. Wie möchtest du von anderen gesehen und verstanden werden? Meistens ist das für andere nämlich auch eine Bereicherung, diese individuelle Erscheinung. Du kannst wiederum andere Frauen inspirieren. Die Hauptsache aber bleibt, dass du dich wohl fühlst.
Wie du noch mehr über dich herausfindest, kannst du in diesem Blogbeitrag von mir nachlesen.
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