Abtauchen, Gefühle ausatmen, Träume loslassen, neue Sicht aufs Hier und Heute: Für all das brauche ich nur Stift und Papier. Zugegebenermaßen ein wirklich schönes Papier und ein Stift, der gut in der Hand liegt. Das bedeutet Journaling für mich.
Im Unterschied zum Tagebuch ist das Journaling zielgerichteter. Ich schreibe zu einem bestimmten Thema, versuche Antworten auf eine konkrete Frage zu finden oder sammele meine Erkenntisse in einem kurzen Fazit. Doch worüber ich schreibe und für welchen Lebensbereich, da öffnen sich uns Welten.
Mit diesem Artikel beteilige ich mich begeistert an der Blogparade von Valeska Stein. Darin ruft sie dazu auf, über den eigenen Weg zum Journaling zu schreiben. So möchte ich dich mitnehmen in meine bunte Welt des Journaling.
Wie alles begann
Ich ziehe diese Schublade auf, stöbere hinter jener Schranktür und klappe auch den braunen Familienkoffer auf. Nichts! Neulich suchte ich mein altes Tagebuch. Ein kleines rotes Büchlein. Ich hatte es als Kind im Grundschulalter zwischen all den Schreibunterlagen meines Vaters gefunden. Wir teilen – bis heute – die Leidenschaft für Bücher, Papier und anderem staubigem Schreibkram. Dieses kleine rote Büchlein ist mir heilig. Zwar waren meine ersten Tagebücher graue A5-Kladden. Aber dieses rote Büchlein war besonders handlich und eben von meinen Eltern. Eine Woche später suche ich noch einmal. Da, endlich. Wusste ich es doch. Ich hatte in einer zweiten Schublade nicht genug geschaut. Jetzt hielt ich es wieder in den Händen.
Ich schrieb mein erstes Tagebuch mit elf Jahren. Ungelenk natürlich. Und ehrlich gesagt, einer „Sauklaue“, wie wir damals sagten. Bis heute muss ich mir Mühe geben, damit meine Handschrift schön aussieht. Auch wenn diese Anfänge sehr spärlich waren, bin ich heute froh darum. Denn sie zeigen mir, was mich damals beschäftigte, wie ich dachte und fühlte. Und auch, was ich vor mir selber verheimlichte. Denn ich schrieb mir so manches schön, was nicht so gut war. Drückte auch Dankbarkeit darüber aus, was ich schätzte.
Gerade auch dieses Papier, die Tinte, diese krakeligen Buchstaben zu sehen und zu fühlen, bringt mich ein wenig dem Kind näher, das ich damals war. Das ist das grundsätzlich Wunderbare an alten Gegenständen aus dem eigenen Leben. Und speziell Tagebücher lassen uns eintauchen in tief in uns vergrabene Erfahrungen. Denn wie viel vergessen wir im Laufe der Jahre. Ich jedenfalls bin sehr vergesslich und staune immer wieder darüber, was ich in meinen alten Aufzeichnungen wiederfinde.
Um- und Aufbrüche der Jugend
Blättere ich in den Tagebüchern in meiner Zeit als junge Frau in Lehre und Studium, finde ich da aufschlussreiche Einträge. Selbst ich, die eine sehr stille und zurückhaltende Person war, ging in die Disko und bewarb mich heimlich bei einem Vorsprechen der Schauspielschule in Leipzig (ist auch nix daraus geworden ;-))
Als ich vor einigen Monaten wieder einmal bei meinem Vater bin und wir über Bücher und alte Erinnerungen sprechen, finde ich in seinem Wohnzimmerschrank einen Ordner mit Briefen von mir. Kannst du dir vorstellen, wie erstaunt und erfreut ich war? Ich hatte völlig vergessen, dass ich als Studentin einen Haufen Briefe geschrieben hatte. An meine Freundinnen, meine Cousine im Westen und vor allem an meine Eltern. Meine Eltern hatten alle Briefe an sich aufgehoben. Jetzt blätterte ich mit großen Augen da durch. Denn der Fall der Mauer und die Wende fiel bei mir mit dem Beginn von Fachabi und Studium zusammen.
Also Abbruch, Um- und Aufbruch überall in meinem Leben. Weg von zu Hause, unglücklich ent- und verliebt, altes Studienfach unter westlichen Bedingungen, zwei versemmelte Führerscheinprüfungen… Sollten wir die deutsche Vereinigung anstreben oder lieber eine Konförderation? Wie ungerecht ist die Währungsunion für uns? Wie war die Aufführung des Rigoletto im Zwickauer Schauspielhaus? Über all diese Dinge schrieb ich meinen Eltern ausführlich. In meine Tagebücher kamen natürlich die anderen Sachen. Über Einsamkeit, die falschen Partner und andere persönliche Dinge.
Flaute als junge Mutter
Natürlich wurden meine Einträge als junge Mutter mit zwei kleinen Kindern, zwischen Wäschebergen, Sandkasten und beruflichem Überleben seltener. Die Pausen zwischen zwei kurzen Notizen länger. Außerdem schrieb ich nun für jedes meiner Kinder ein eigenes kleines Tagebuch, in dem ich über ihre Fortschritte und wunderschönen Erlebnisse mit ihnen berichtete. Sie sollten es dann zum 18. Geburtstag bekommen.
Doch irgendwann reaktivierte ich mein eigenes Tagebuchschreiben wieder. Es war mir wichtig, bedeutsame Gefühle und Ereignisse festzuhalten. Weil mir klar war, dass die Zeit schnell vergehen wird. Wie oft sagte mein Mutter den Satz „Wie vergänglich doch alles ist“. Inzwischen – mit Mitte 50 – kann ich ihn verdammt gut nachempfinden. Man hat schon so vieles kommen und gehen sehen, diverse Abschiede und Verluste durchlebt. Wie dankbar bin ich heute, damals wenigstens ab und zu etwas geschrieben zu haben.
Neustart durch Journaling
Vor vielen Jahren dann, als die Kinder größer waren und ich schon wieder viele Jahre berufstätig war, habe ich neben dem Tagebuch das Journaling für mich entdeckt. Diese fokussiertere Art kam mir zu dieser Zeit entgegen. Ich wollte mehr über mich selbst herausfinden. Meine inneren Kämpfe, mein Selbstverständnis als Mutter. Da waren die Teenagerjahre der Kinder zu verarbeiten, mein Fühlen als Frau, meine beruflichen Erfolge und Misserfolge, mein Suchen nach weiteren freundschaftlichen Verbindungen.
Je nach konkretem Thema habe ich mich hingesetzt und bin in die Tiefe meiner Prägungen, Empfindungen hinabgestiegen. Ich bin fast immer gestärkt, mindestens entlastet aus diesem Schreiben hervorgegangen. Und Stück für Stück, mit jedem Eintrag und einer neuen Erkenntnis mehr habe ich ein Stück meiner inneren Susanne herausgeschält, mich frei geschrieben, weiterentwickelt.
Eines Tages hatte ich ein paar solch entscheidende Schreib-Erkenntnisse, dass es mich geschüttelt hat. Unter anderem wurde ich mir über mein absolut wichtigstes Bedürfnis klar. Das war mir vorher in dieser Deutlichkeit und Konsequenz nicht bewusst. Ich wusste, wenn ich mir selbst treu bleiben möchte, muss ich eine Entscheidung treffen. Wenn man dieses verdammte Stück Papier für sich nutzt und ehrlich zu sich selbst ist, kommt man irgendwann an einen Punkt, wo etwas dasteht, woran man selbst nicht mehr vorbeikann. Dann hat man die Wahl, sich selbst und das Umfeld täglich zu belügen oder wahrhaftig zu sein. Loszugehen, umzusetzen.
Viele viele bunte Bücher
Getreu einer alten Werbung über bunte Schokobonbons ist mein heutiges Tagebuch- und Journalingschreiben vielfältig. Nicht nur schreibe ich meine Termine ganz altmodisch in einen A5-Papierkalender, indem ich auch kleine Erkenntnisse festhalte. Sondern ich habe diverse Bücher für die unterschiedlichsten Themen: Arbeitsnotizen kommen in Journals, die nur für den Job reserviert sind. Ideen, poetische Randnotizen, Beobachtungen kommen in meine „normalen“ Journals. Meine Gedichte, Wünsche und ungewöhnliche Zu- und Straßennamen versammele ich in je eigenen Büchlein. Alle in A5-Bücher, am liebsten mit kleinen Punkten oder höchstens liniert.
In jedem Fall müssen meine Journals schön aussehen und sich gut anfühlen, wenn ich sie in die Hand nehme. Meine besonderen Erlebnisse wie Konzerte, Museums- und Theaterbesuche usw. kommen mitsamt der Eintrittskarten und anderer Materialien wegen der Größe in eine A4-Kladde. Diese Dinge schreibe ich nicht am Schreibtisch und PC, sondern immer mit der Hand am Wohnzimmertisch. Mit Blick aus dem Fenster.
Manchmal komme ich etwas durcheinander, wo ich was hinschreiben soll oder schon einmal notiert habe. Aber das macht nichts. In jedem Fall ist diese einigermaßen strukturierte Vielfalt ein Geschenk für mich. Es ist wie ein zweites Gehirn, eine Erlebniswelt, die mich glücklich macht. Wenn ich wieder in meinen Journals blättere und stöbere, bin ich erfreut, erstaunt, belustigt. In jedem Fall bereichert. Denn so empfinde ich mein Leben als abwechslungsreich und erfüllend. Ich erinnere mich an wunderbare Erlebnisse mit Menschen, die ich liebe und mir wichtig sind. Oder Erlebnisse, bei denen ich inspirierende Dinge gelernt habe. Einen Online-Vortrag über Künstlerinnen eines Hamburger Museums, eine außergewöhnliche Theateraufführung des Schauspielhauses in Düsseldorf. Oder eine kurze, unscheinbare Wanderung mit meinem Liebsten, die uns aber tief beglückt hat.
Ich blättere durch die bunten, oft beklebten und schweren Seiten, das Papier raschelt, ich muss aufpassen, dass mir manche Karten nicht herausfallen. Der Geruch von Farbe steigt mir in die Nase und die Erinnerung lässt mich lächeln. Dankbar stelle ich das Notizbuch wieder in die Reihe zu den anderen auf meinem Schreibtisch zurück.
Wenn du mehr über deine wichtigsten Bedürfnisse herausfinden willst, findest du hier einen ersten Bedürfnisfahrplan für dich. Noch mehr über dich und dein Leben findest du in meinem baldigen Selbstlernkurs heraus. In ihm habe ich kreativ-biografisches Schreiben, Wissenhäppchen aus Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung mit Inspirationen von Schriftstellerinnen und einem spezifischen Blick auf weibliche Lebensläufe vereint. Hier gehts zur Warteliste. Diese Reise zu dir selbst wird magisch werden.
Herzlichst, Susanne
Liebe Susanne,
mir würde es, glaube ich, so gehen, wie es dir immer wieder geht, dass ich nicht wüsste, wo ich etwas hineinschreiben soll. Es gibt immer wieder Journals für Arbeitswissen, die ich gerne anlege, aber selten vervollständige. Allerdings merke ich langsam, dass ich meine Einträge vielfältiger gestalten darf, jetzt, wo die gedanklichen Ressourcen wieder vorhanden sind.
Herzliche Grüße Alexandra
Liebe Alexandra,
ja das ist wohl auch ein Prozess, sich auszuprobieren und zu finden, was einem am besten passt. Trotzdem glaube ich, dass man es nie zu 100 Prozent perfekt machen kann. Dazu sind wir eben auch zu kreativ, als dass man das immer genau passend strukturieren könnte.
Ganz liebe Grüße
Susanne
Vielen lieben Dank fürs „backlinken“!