Letzten Sonntag habe ich einen Improtheater-Workshop besucht. Im Kulturladen Zeltnerschloss, einem wunderschönen Ort auf einer idyllischen kleinen Insel mitten in der Stadt von Nürnberg. Schon lange wollte ich ins Theaterspielen hineinschauen, mich ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln. Theaterspielen gilt nicht ohne Grund als ein Mittel der Persönlichkeitsentwicklung.
Was habe ich gelernt bei diesem Workshop? Übers Theaterspielen, übers Menschsein, über mich?
Heldenreise 1 – der männliche einsame Wolf
Zunächst einmal haben wir etwas gehört über die Grundstruktur von Geschichten. Eine der bekanntesten ist die Struktur der Heldenreise: eine Heldin/ein Held verfolgt einen Wunsch oder ein Ziel. Auf dem Weg zu diesem Ziel muss sie/er eine Menge Hürden, Konflikte, Abenteuer überstehen. Die Konflikte können nicht nur durch Widersacher oder andere äußere Hürden bestehen, sondern auch in der Person selbst liegen. Der Held erlebt anfangs eine Art Ruf, einen Erweckungsmoment, der ihn antreibt, sein Ziel zu erreichen. Unterwegs begegnen ihm/ihr Widerstände und auch Fürsprecherinnen, sogenannte Mentoren, die der Heldin helfen. Diese Grundstruktur von Geschichten fußt auf der Dichtung der Odyssee, die dem alten griechischen Dichter Homer zugeschrieben wird (ob es ihn je gegeben hat, weiß man offenbar nicht sicher).
Diese Grundstruktur von Geschichten hat vor allem im amerikanischen Film Einzug gehalten und heute finden wir sie in jedem Film, Roman, Song usw. Auch die Mythenforschung und die Psychologie hat sich intensiv damit beschäftigt. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung hatte von dem Konzept der Heldenreise ausgehend menschliche Archetypen identifiziert, die in Träumen, Wünschen und Emotionen aller Menschen vorkommen. Also universell ähnliche Erfahrungen aller Menschen zu Geburt, Liebe, Verrat, Hass, Tod usw. widerspiegeln. Deshalb ist auch das Konzept des Storytellings, also etwas als Geschichte widerzugeben, so erfolgreich, weil Geschichten an unsere Gefühle andocken.
Heldinnenreise 2 – die weibliche Reise nach innen
Allerdings ist die klassische Heldenreise, wie der Name schon sagt, ursprünglich am männlichen Ideal ausgerichtet. Eine HeldInnenreise sieht etwas anders aus. Denn während sich bei der männlich geprägten Heldenreise der Held meist als einsamer Wolf auf die Reise begibt, um oft martialische Kämpfe in der äußeren Welt zu bestreiten, scheint es bei der weiblichen Figur stärker um innere Zweifel und einer Suche nach sich selbst zu gehen. Außerdem reist sie eher mit anderen zusammen als nur allein. „In konzentrischen Kreisen“, wie es Regisseurin und Schriftstellerin Doris Dörrie im Interview mit Literaturkritiker Denis Scheck bezeichnet, statt „monomanisch“ wie der männliche Held. Doris Dörrie hat 2022 ihre persönlichen Reisen in „Die Heldin reist“ veröffentlicht.
Das Motiv der Heldenreise hat vor allem auch der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell als ein Grundmuster weltweiter Mythen aufgestellt. Dem gegenüber hat Maureen Murdock, C.G. Jung Analystin und Künstlerin, in jahrelanger Arbeit mit Frauen herausgearbeitet, wie die weibliche Heldinnenreise aussieht. Laut Murdock geht es bei der weiblichen Reise darum, tief in die Seele hinabzugehen, zu heilen und zurückzugewinnen, während die männliche Reise in der äußeren Welt stattfindet und nach Ruhm und Ehre strebt. Maureen Murdocks Erfahrung beschreibt die weibliche Heldinnenreise als spirituelle Entwicklung, die eine Heilung der inneren Spaltung der Frau und ihrer weiblichen Natur nötig mache. (www.mgt.or.at/mgt-blog/die-heldinnenreise-nach-maureen-murdock/)
„Die Heldinnenreise beginnt also dort, wo die klassische Heldenreise endet. Die Außenwelt ist geordnet, aber es nagt etwas im Inneren! Auf das Gefühl der Verlorenheit folgt eine schwere Phase, die einem Abstieg in die eigene innere Tiefe entspricht. Die Heldin findet sich in dieser Zeit neu und gewinnt schmerzhafte, aber auch erlösende Erkenntnisse. Maureen Murdock stellte fest, dass sich ihre Patientinnen in dieser Phase zurückzogen oder in eine Depression verfielen. Wenn sie diesen Lebensabschnitt – für ihren aktuellen Konflikt, denn sie wiederholt sich im Kleinen und Großen immer wieder – überwunden hatten, hatten sie die Chance, sich neu zusammenzusetzen und zu heilen.“ (www.federrauschen.de/heldinnenreise-heldenreise-storytelling)
Held:innenreise für jeden
Letztlich geht es sowohl für Männer, Frauen und alle Menschen darum, die weiblichen und männlichen Anteile in sich wertzuschätzen und zu entwickeln. So hat man sich auch in Coaching und Beratung das Konzept der HeldInnenreise zunutze gemacht. Hier begibt man sich auf die Suche nach den eigenen großen Wünschen und Zielen und setzt sich mit seinen größten Ängsten auseinander auf dem Weg zu seinen Zielen. Schön erklärt ist das in einem Artikel von Deutschlandfunk: „Der Gestalttherapeut Torsten Zilcher setzt auf seelisches Wachstum: ‚Im Psychologischen nennt man das Expansion, das heißt, dass ein Teil meiner Psyche, meiner Persönlichkeit, den ich bisher nicht entwickelt hab, den ich bisher zurückgehalten habe, dass der dann wachsen darf und sich entfalten darf. Das wäre analog das psychologische Motiv zum religiösen Motiv der Auferstehung.‘ “ (/www.deutschlandfunkkultur.de/fantasy-als-religion-heldenreise-zur-erloesung-100.html, 1.1.2017)
Lob des Konflikts
Als wichtige Grundübung haben wir uns im Workshop aber nicht gleich eine ganze Heldenreise ausgesucht, sondern eine einfachere Übung, die dann aber gar nicht so einfach war. In Zweiergruppen klärten wir:
- Der erste sagt einen Namen und einen Ort (zum Beispiel: Ich bin Sandra und auf einem Schiff)
- Daraufhin überlegt sich die zweite Person, in welcher Beziehung beide in der Szene zueinanderstehen sollten, also ob KollegInnen, Geschwister, ein Paar, Freunde… (zum Beispiel Freunde)
- Der erste steuert daraufhin einen Konflikt zwischen beiden Personen bei (zum Beispiel der eine möchte beim Landgang in ein Museum, der andere in die Kneipe).
Mit diesen Vorgaben können geübte Improtheater-Menschen auf der Bühne blitzschnell Szenen aus dem Stegreif entwickeln, die das Publikum erreichen. Denn Konflikte und Widersprüche treiben eine Geschichte voran, lassen einen sich weiterentwickeln.
Was sagt uns das über das Leben? Es geht immer um Menschen und es geht immer um unterschiedliche Bedürfnisse, die sich oft in Konflikten offenbaren. Wir sind soziale Wesen und brauchen ein Gegenüber, mit dem wir uns auseinandersetzen können, um uns über uns selbst und den anderen klar zu werden und die jeweiligen Grenzen zu verhandeln. Am besten mit Verständnis und Humor.
Was ich über mich gelernt habe im Workshop?
Zunächst einmal, immer aufmerksam meinem Gegenüber zu bleiben, dranzubleiben, nicht den Kontakt zu verlieren, sonst läuft das Spiel ohne mich. Außerdem habe ich mich in einer noch neuen Rolle ausprobiert, die ich im „normalen Leben“ noch zu wenig gespielt habe bisher. Und wie mir das Spaß gemacht hat und mir schon ganz gut gelungen war. Und schließlich, dass man beim Ausprobieren nur gewinnen kann; neue Erkenntnisse, neue Empfindungen, neue Erfahrungen.
Was hast du auf deiner persönlichen Helden- oder Heldinnenreise über dich erlebt? Herausgefunden? Schreib es auf, reflektiere, was dich stärker gemacht hat und welche deiner Eigenschaften dir dabei geholfen haben. Auf diese Weise kommst du deinen inneren Fähigkeiten und deiner „neuen“ Geschichte auf die Spur. Lies dazu gerne hier weiter:
Viel Erfolg beim Ausprobieren und Aufschreiben wünscht Dir
Susanne
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