Weibliches Schreiben, biografisches Schreiben, bietet für uns Frauen einen zusätzlichen, sicheren Raum. Hier können wir über die gesellschaftlichen, Bedingungen des Patriarchats nachdenken, in die wir hineingeboren werden, wie uns diese prägen und wie wir trotzdem ein selbstbestimmtes Leben führen können. Über Geschichte und Facetten weiblichen Schreibens und wie es uns dabei helfen kann, ein besseres Leben für uns selbst und eine gerechtere Gesellschaft schreibend vorwegzunehmen.
Schreiben zwischen Wäsche und Hammelbraten
Als ich aus meinem Erziehungs-„Urlaub“ (man achte auf solche Wortschöpfungen) zurück in den Verlag komme, um mein zuvor angefangenes Volontariat wieder aufzunehmen, begrüßen mich die Kolleg:innen. Fast bin ich ein wenig euphorisch. Denn es liegen über sechs anstrengende Jahre hinter mir: schlaflose Nächte, Wäscheberge, viele schöner, abwechslungsreiche Spielmomente mit den Kindern, das Organisieren aller Familientermine, Kinder und anderes Geschleppte, eigene durchgehustete Nächte mit häufigen Krankheiten – wie das eben so ist mit Kindergartenkindern – und einer Mutter-Kinder-Kur, ohne die ich damals nicht mehr gewusst hätte, wie ich weitermachen hätte können. Jetzt bin ich froh, wieder ins Berufsleben zurückzukehren. Ein Kollege fragt mich, wie viele Stunden ich da sein werde. „25“ sage ich. „Achso“, lautet seine kurze, aber denkwürdige Antwort. Dabei bin ich stolz darauf, nicht nur 20, sondern sogar 25 Stunden anbieten zu können. Doch jetzt fühle ich mich ungenügend. Ich bin Ende 30 und sehe mich plötzlich wie ein Lehrling.
Damals, 2007, war ich in diesem Verlag als Volontärin, die zwei Kinder bekommt und das dann in Teilzeit vollendet, eine Exotin. Immerhin war in der Zwischenzeit der gesetzliche Anspruch auf Erhalt des Arbeitsplatzes für die Erziehungszeit eines Elternteils etabliert worden. Aber als angehende Redakteurin bekam man dort anständigerweise kein Kind. Für das männliche Pendant galt das natürlich nicht. Wenn ich dann 13.00 Uhr Arbeitsende hatte, aber die Heftproduktion unserer Zeitschrift kurz vor Abgabe war, wollte ich natürlich meine Arbeitskraft ausreizen. Also bin ich bis zur letzten Minute geblieben und eiligst nach Hause gehetzt, um meinen Kindern noch annähernd ein Essen kochen zu können.
Genau das sind die Erfahrungen so vieler Frauen, die Mütter sind. Sie müssen ihre Arbeit ständig unterbrechen, weil nur sie übrigbleiben, sich um Kinder, Haushalt und all den sozialen Zusammenhalt in und um die Familie zu kümmern. Virginia Woolf, Feministin und eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, spielt das durch mit der Idee einer Schwester William Shakespeares:“ ‚Sie war, nehmen wir einmal an, ebenso abenteuerlustig, ebenso fantasievoll, ebenso begierig, die Welt zu sehen, wie er. Aber sie wurde nicht in die Schule geschickt. … Sie nahm hin und wieder ein Buch in die Hand, eines ihres Bruders vielleicht, und las ein paar Seiten. Aber dann kamen ihre Eltern herein und hießen sie Strümpfe stopfen oder sich um den Hammelbraten kümmern …‘“
Nicht nur Virginia braucht ein Zimmer – eigene Räume
Weibliches Schreiben beginnt bei den Produktionsbedingungen, unter denen Frauen vor allem früher, aber auch heute schreiben müssen.
Virginia Woolf, betonte in ihrem Essay Ein Zimmer für sich allein, wie notwendig es für Frauen ist, eigene Räume zu haben. Generell, um kreativ zu arbeiten und so auch fürs Schreiben. Woolf argumentiert, dass finanzielle Unabhängigkeit und intellektuelle Freiheit grundlegende Voraussetzungen dafür sind, dass Frauen schreiben und ihre Geschichten erzählen können.
In einer sehr plastischen Szene beschreibt das auch die Schriftstellerin Zsuzsa Bánk in ihrem Briefroman Schlafen werden wir später. In diesem berichten sich die Freundinnen Márta, Schriftstellerin mit drei Kindern, und die kinderlose Johanna, die mit ihrer Doktorarbeit nicht weiterkommt, gegenseitig in langen Briefen über ihren Alltag. So schreibt Márta einmal: “Da die Arbeit brachliegt, ich nicht über meinem Text ausharre und deshalb durchdrehen will, weil die Kinder an mir zerren, an Armen, Beinen, Nerven, könntest du denken, ich bin die liebsüßeste Mutter, die sich ein Kinder nur wünschen kann, aber davon bin ich fern Johanna, und das lässt mich noch mehr verzweifeln, weil ich zu gar nichts tauge, nicht zum Schreiben, nicht zum Erzählen, am wenigsten zum Muttersein.“
Noch immer ist es so, dass sich für Männer, die Väter werden, kaum etwas ändert. Sie können, und ja müssen auch teilweise, ihren Beruf weiter ausüben wie vorher. Also auch schöpferisch tätige Männer. Aber wie ist das mit schöpferisch tätigen Frauen?
Virginia Woolf erkannte, dass das Schreiben ein Mittel ist, um gegen die Marginalisierung von Frauen in der Literatur und Gesellschaft anzukämpfen. Woolfs Einsichten sind heute genauso relevant wie damals, da sie die strukturellen Barrieren hervorheben, die Frauen daran hindern, sich literarisch zu betätigen und ihre Stimmen zu erheben.
Im obigen Textausschnitt des Briefromans von Zsuzsa Bánk werden auch die Selbstzweifel von Marta offensichtlich, angesichts der mangelnden Zeit fürs Schreiben überhaupt dazu fähig zu sein. Zwar haben auch schreibende Menschen ohne Kinder immer wieder Selbstzweifel, doch mit Windel über der Schulter und einem Berg von Haushaltsarbeit verstärken sich diese noch. Virginia Woolfs Werke analysieren die inneren Konflikte, mit denen Frauen konfrontiert sind, wenn sie versuchen, sich kreativ auszudrücken. Ihre Erzählungen und Essays beleuchten die subtilen und oft unsichtbaren Kräfte, die Frauen in ihrem Bestreben nach Selbstausdruck und Autonomie einschränken. Ihre Forderung nach „einem eigenen Zimmer“ und einem festen Einkommen war nicht nur eine Metapher für materielle Notwendigkeiten, sondern auch ein Aufruf zur Selbstbestimmung und Anerkennung weiblicher Kreativität.
Weibliches versus männliches Schreiben
Doch Virginia Woolf hatte auch Kritikerinnen. Einige Vertreterinnen der Strömung der écriture féminine (auf Deutsch weibliches Schreiben genannt) kritisieren die Ansichten Woolfs als „phallisches“, also männliches, Schreiben. Die écriture féminine ist eine Strömung der feministischen Philosophie und ein Konzept der Literaturtheorie, die stark beeinflusst sind durch französischsprachige Philosoph:innen. Diese Strömung etablierte sich um die 1970er Jahre und kritisiert vor allem die männlich geprägte Denk- und Sprechweise. Sie analysiert also nicht nur, sondern sieht sich auch als eigene Theorie und Praxis.
Seither allerdings gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, ob es ein weibliches Schreiben gibt bzw. wie dies zu charakterisieren wäre. Einerseits geht es darum, weibliche Erfahrungen und Alltagswelten zu beschreiben, sichtbar zu machen und als ganz normalen Bestandteil von Literatur zu etablieren. Andererseits geht es darum, das Schaffen von Schriftstellerinnen in Vergangenheit und Gegenwart viel stärker zu würdigen.
Doch Frauen schreiben nicht automatisch anders als Männer. Männer wie Frauen bzw. alle Geschlechter können sowohl über „männliche“ als auch „weibliche“ Themen schreiben. Es geht ja genau darum, stereotypische Rollenzuschreibungen aufzulösen. So findet auch Alexa Hennig von Lange: „Ein typisch weibliches Schreiben gibt es nicht. Das ist total durchdrungen von männlichem Wahrnehmen, männlichem Ausdruck und männlichen Bewertungsmustern.“
Deshalb finde ich die Formulierung von Eva Schörkhuber hilfreich, wenn sie von „weiblichen Erzählperspektiven“ schreibt. Denn diese können von jedem Menschen eingenommen werden. Um der Vielfalt weiblicher, menschlicher Erfahrungen gerecht zu werden, empfiehlt sie die Mehrzahl, eben die vielen Perspektiven von Frauen unterschiedlicher Hautfarben, Herkünfte, Religionen usw.
Geschlecht als soziales Konstrukt
Die feministische Philosophie bietet wichtige theoretische Anregungen für das biografische Schreiben. Philosophinnen wie Simone de Beauvoir und Judith Butler zeigen, wie Geschlecht als soziale Konstruktion unsere Identität und unsere Lebenserfahrungen prägt. Durch biografisches Schreiben können wir Frauen diese Konstruktionen hinterfragen und unsere eigenen Erzählungen jenseits traditioneller Geschlechterrollen und -stereotypen entwickeln.
Beauvoirs Werk Das andere Geschlecht (Le Deuxième Sexe) analysiert die patriarchalen Strukturen, die Frauen unterdrücken, und fordert eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft. Denn die Gesellschaft, alles Vorhandene, wird uns als das Allgemeine präsentiert. Tatsächlich jedoch leben wir in einer Welt, die von Männern für Männer gemacht ist. Das sehen wir an zig Beispielen wie in der Medizin, in der neue Medikamente fast nur an Frauen erforscht werden, im Städtebau, der überwiegend auf die Bedürfnisse mit dem Auto zur Arbeit fahrender Männer ausgerichtet ist, aber die Lebenswirklichkeit von vielen Frauen, Kindern, alten Menschen usw. kaum mitdenkt.
Judith Butlers Konzept der Geschlechtsidentität erweitert diese Ideen. Sie zeigt, wie Geschlechterrollen durch wiederholte Handlungen und gesellschaftliche Erwartungen verfestigt werden, also Stereotype entstehen, die wir immer wieder wiederholen. Die feministische Philosophie stellt auch infrage, dass die literarischen Werke und Traditionen, die wir kennen, für alle universal gelten sollen. Indem sie die Perspektiven und Erfahrungen von Frauen in den Mittelpunkt rückt, fordert sie die traditionellen, männlich dominierten Sichtweisen heraus und eröffnet neue Räume für weibliche Ausdrucksformen. Das biografische Schreiben wird so zu einem Akt des Widerstands und der Selbstermächtigung.
Weibliches Schreiben macht Mut
Dichterinnen wie Audre Lorde und Adrienne Rich haben das biografische Schreiben genutzt, um ihre Erfahrungen als Frauen und als Mitglieder marginalisierter Gruppen zu dokumentieren. Lorde’s Werke wie Sister Outsider betonen, wie wichtig das Schreiben als Akt des Widerstands und der Selbstbestimmung ist. Rich’s Essays und Gedichte ermutigen Frauen, die Verbindungen zwischen persönlichem Erleben und politischem Kontext zu erkennen. Beide Schriftstellerinnen haben bedeutende Beiträge zur feministischen Literatur geleistet und gezeigt, wie das biografische Schreiben zur Ermächtigung von Frauen beitragen kann.
Audre Lorde, eine afroamerikanische Dichterin, Schriftstellerin und Aktivistin, hat in ihren Werken die Intersektion (sich überschneidende, mehrfache Diskriminierung) von Rasse, Geschlecht und sexueller Orientierung erforscht. In The Cancer Journals verarbeitet sie ihre Erfahrungen mit Brustkrebs und thematisiert die gesellschaftlichen Erwartungen und die Isolation, die sie als schwarze, lesbische Frau erlebt hat. Lorde nutzte das biografische Schreiben, um ihre Kämpfe und Triumphe zu teilen und anderen Frauen in ähnlichen Situationen Mut zu machen. Ihre Schriften sind ein lebendiges Beispiel dafür, wie biografisches Schreiben als Werkzeug zur Selbstheilung und zum Widerstand gegen Unterdrückung dienen kann.
Adrienne Rich, eine weiße amerikanische Dichterin und Feministin, setzte sich intensiv mit den Themen Mutterschaft, Weiblichkeit und lesbischer Identität auseinander. In Of Woman Born: Motherhood as Experience and Institution untersucht sie die sozialen und politischen Implikationen der Mutterschaft und fordert eine Neubewertung der weiblichen Erfahrung. Richs Gedichte und Essays ermutigen Frauen, ihre eigenen Erfahrungen ernst zu nehmen und die patriarchalen Strukturen zu hinterfragen, die ihre Leben formen. Ihr Werk zeigt, wie biografisches Schreiben Frauen helfen kann, ihre eigene Stimme zu finden und gesellschaftliche Normen zu durchbrechen.
Weibliches Schreiben ist politisch
Frauen erleben ihre Alltagswelten oft anders als Männer, geprägt durch unterschiedliche soziale Erwartungen und Verantwortlichkeiten. Biografisches Schreiben ermöglicht es Frauen, diese einzigartigen Erfahrungen zu dokumentieren und zu reflektieren. Ob es sich um die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, den Umgang mit Geschlechterdiskriminierung am Arbeitsplatz oder die Pflege von Angehörigen handelt – das Schreiben bietet einen Raum, um diese vielfältigen Erfahrungen auszudrücken und sichtbar zu machen.
Die täglichen Herausforderungen, denen Frauen gegenüberstehen, sind oft komplex und vielschichtig. Sie navigieren durch eine Welt, in der sie gleichzeitig berufliche Erwartungen erfüllen, familiäre Pflichten übernehmen und gesellschaftlichen Normen entsprechen müssen. Biografisches Schreiben bietet Frauen die Möglichkeit, diese vielfältigen Rollen zu reflektieren und die damit verbundenen emotionalen und physischen Belastungen zu verarbeiten. Es schafft einen Raum, in dem Frauen ihre Erlebnisse teilen und die Unterstützung und Solidarität finden können, die sie benötigen.
Frauen erleben auch spezifische Formen der Diskriminierung und Ungerechtigkeit, die in ihren biografischen Erzählungen eine zentrale Rolle spielen können. Sei es der ungleiche Zugang zu Ressourcen und Chancen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder die Unterbewertung ihrer Arbeit und Fähigkeiten – diese Erfahrungen prägen ihre Lebensgeschichten und ihre Identität. Das biografische Schreiben ermöglicht es uns Frauen, diese Ungerechtigkeiten zu dokumentieren und unsere Stimme gegen die bestehenden Missstände zu erheben. Es dient als Akt des Widerstands und der Selbstbehauptung, der dazu beitragen kann, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen.
Mutterschaft als „Privatvergnügen“?
Als schreibende Frau habe ich selbst erlebt, wie es sich anfühlt, den guten und mühsam erarbeiteten Berufsweg länger unterbrechen und auf das gesellschaftliche Leben größtenteils verzichten zu müssen. Natürlich habe ich als leidenschaftliche Mutter meine physische und seelische Kraft gerne für ein richtig gutes Aufwachsen meiner Wunschkinder eingesetzt. Genauso gern habe ich aber auch beruflich gearbeitet. Ich liebe es, in Texten zu versinken. Stundenlang. Dabei erlebe ich einen Flow, kann meine Stärken einsetzen und meinen kleinen Beitrag zu einer besseren Welt leisten. Außerdem ist es bereichernd, sich mit Kolleg:innen auszutauschen; über berufliche Dinge, aber auch darüber hinausgehend gesellschaftliche Themen und auch die positiven Rückmeldungen auf die eigene Arbeit zu erleben.
Für mich fühlen sich die sechseinhalb Jahre Familienzeit – in denen ich trotzdem ab und an Artikel für die Tageszeitung geschrieben und ehrenamtliche Pressearbeit geleistet habe – wie ein Bruch an. Es gab ein Davor und ein Danach.
Ich habe die Herabwürdigung oft gespürt, wenn ich mich als Mutter zweier Kinder „outen“ musste. Am liebsten wäre es manchen Arbeitgebern gewesen, dass, wenn man schon Kinder hat, man aber dieses Muttersein nicht auch noch „ausleben“ würde. Es war ein Makel, ein Mangel an „Prioritäten“. Eine Frau, die studiert hat und als Redakteurin arbeiten möchte, hat gefälligst solche privaten Sperenzchen zu lassen. Und wenn schon, dann ist das doch alles nur eine Frage der Organisation. Als wenn sich Zeit zum Spielen, Kuscheln, Reden, Hausaufgabenunterstützung, Arztbesuche, Physiotherapie, die durch Kinder vergrößerten Wäscheberge, Mahlzeiten, Kindergeburtstage und und und wegorganisieren lassen.
Wenn ich dann also „nur“ in Teilzeit arbeiten „wollte“, ist das als Redakteurin nahezu unmöglich gewesen. Es gab damals nahezu keine Stellen in diesem Bereich in Teilzeit. So habe ich mir meinen eigenen Weg mit der Selbstständigkeit gebahnt. Hier war ich frei und keiner hat mehr nach meinen privaten Hintergründen gefragt. Stattdessen haben nur noch meine Texte interessiert und ich bekam viele positive Reaktionen. Doch auch im privaten Raum lauerte die Herabwürdigung, wenn es um meinen Verdienst ging.
In Wirklichkeit ist es eine Ungeheuerlichkeit, dass man als Mensch, der Kinder bekommt und sie mit intensivem körperlichem, seelischem und finanziellem Einsatz beim Aufwachsen begleitet, im Arbeitsleben oder überhaupt im Leben Nachteile erfährt.
Missachtung in der Literaturgeschichte
Die vielfältigen literarischen Werke von Frauen wurden historisch in enormem Ausmaß weniger beachtet und gewürdigt als die von Männern. Viele bedeutende Schriftstellerinnen wurden zu Lebzeiten ignoriert oder erst posthum anerkannt. Frauen wurde ein intellektuelles Vermögen abgesprochen. Die Männerwelt hat sich jahrhundertelang nicht vorstellen können, dass Frauen abstrakte Ideen und Gedankenwelten erfassen und selbst kreieren können. Frauen hatten außer in Klosterschulen keinen Zugang zu Bildung. Wenn in wenigen Fällen Frauen doch das Lesen und Schreiben lernten und Gedichte, Sonette, Erzählungen und weitere Texte schufen, wurden sie meistens von ihren Ehemännern herausgegeben oder die Schöpferinnen veröffentlichten unter männlichem Namen.
Die Literaturgeschichte ist reich an Beispielen von Frauen, deren Werke zu Unrecht übersehen oder unterschätzt wurden. Schriftstellerinnen wie Emily Dickinson, die zu Lebzeiten kaum Anerkennung fand, oder Zora Neale Hurston, deren Werke erst Jahrzehnte nach ihrem Tod wiederentdeckt wurden, sind nur einige Beispiele. Biografisches Schreiben kann dazu beitragen, diese ungerechte Behandlung zu korrigieren, indem es die Geschichten und Beiträge dieser Frauen in den Vordergrund stellt. Es schafft ein Gegengewicht zur männlich dominierten Literaturgeschichte und eröffnet neue Perspektiven auf die kulturelle und literarische Landschaft.
Durch das Schreiben unserer eigenen Biografien können wir Frauen auch die Lücken in der Literaturgeschichte schließen, die durch das Vernachlässigen und Überhören weiblicher Stimmen entstanden sind. Wir können unsere eigenen Erfahrungen und Perspektiven dokumentieren, literarischen Traditionen komplexer machen. Dies ist besonders wichtig in einer Zeit, in der die Vielfalt der Stimmen und Geschichten in der Literatur zunehmend anerkannt und gefeiert wird. So können wir die kulturelle und literarische Landschaft bereichern.
Texte von Frauen mehr gewürdigt
Auch heute noch erfahren Werke von Frauen oft weniger Aufmerksamkeit in Literaturkritik und Medien. Zwar haben Werke von Frauen in Verlagen und der öffentlichen Wahrnehmung auch seit MeToo eine deutliche Aufwertung erfahren. Die gesellschaftlichen Probleme unserer patriarchalen Strukturen werden endlich als Problem für die ganze Gesellschaft wahrgenommen. Studien zeigen, dass jedoch noch immer Bücher von Frauen seltener rezensiert und ausgezeichnet werden.
Die geringere Beachtung weiblicher Literatur ist ein fortwährendes Problem, das tief in den Strukturen der Literaturkritik und Verlagsbranche verankert ist. Weibliche Autorinnen sehen sich oft mit Vorurteilen und Stereotypen konfrontiert, die ihre Arbeit abwerten oder marginalisieren. So werden männliche Schreibende häufiger mit Genialität in Verbindung gebracht als weibliche, diese dafür häufiger mit Fleiß.
Biografisches Schreiben kann dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren, indem es die Geschichten und Perspektiven von Frauen ins Zentrum rückt und ihre Bedeutung für die Literaturwelt unterstreicht.
Wie wirkt Schreiben?
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Schreiben, insbesondere biografisches Schreiben, therapeutische Wirkungen haben kann. Es fördert die Selbstreflexion, hilft bei der Verarbeitung von Traumata und stärkt das Selbstbewusstsein. Forscher wie James W. Pennebaker haben nachgewiesen, dass das Schreiben über persönliche Erlebnisse positive Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit haben kann. Für Frauen bedeutet dies, dass sie durch das Schreiben ihre Lebensgeschichten verarbeiten und eine stärkere innere Resilienz – also Widerstandskraft – entwickeln können.
Die Forschung von Pennebaker und anderen hat gezeigt, dass das Schreiben über traumatische oder belastende Ereignisse dazu beitragen kann, negative Emotionen zu verarbeiten und das psychische Wohlbefinden zu verbessern. Das biografische Schreiben bietet Frauen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen zu reflektieren und ihre Gefühle auszudrücken, was zu einer tieferen Selbstkenntnis und emotionalen Heilung führen kann. Es kann auch helfen, Stress und Angst zu reduzieren und das allgemeine Wohlbefinden zu fördern.
Darüber hinaus hat das Schreiben auch soziale und kognitive Vorteile. Es kann das kritische Denken und die Problemlösungsfähigkeiten verbessern und das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit stärken. Indem wir Frauen also über unser Leben schreiben, können wir unsere Stärken und Ressourcen erkennen. Wir können unsere Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen, würdigen. Das macht uns stolz. Das stärkt uns. Zusätzlich finden wir mehr über unsere Werte heraus und können unser Leben darauf ausrichten, im Einklang mit ihnen zu leben. Ein enormer Pluspunkt für ein seelisch gesundes Leben.
Biografisches Schreiben verhilft Frauen zu neue Wegen
Biografisches Schreiben ist für Frauen besonders effektiv und bedeutsam, weil wir mit ihm unser Sein, unsere Rolle in der Gesellschaft neu definieren können. Es bietet eine Möglichkeit, über die eigene Herkunft, das aktuelle Leben und die persönlichen Ziele nachzudenken. Durch das Schreiben können Frauen nicht nur ihre Vergangenheit aufarbeiten, sondern auch passende Visionen für ihre Zukunft entwickeln und ein besseres Leben schreibend vorwegnehmen. Es fördert unser Gefühl davon, dass wir auf unsere Kraft vertrauen können.
Das macht uns Mut, unsere Träume und Ambitionen trotz Selbstzweifeln anzugehen. Das biografische Schreiben ermöglicht es uns Frauen, unsere Lebensgeschichten zu reflektieren und die Muster und Strukturen zu erkennen, die unser Leben geprägt haben. Es bietet einen Raum, um zu sehen, welche Hürden wir schon überwunden haben, welche Eigenschaften uns dabei geholfen haben. So können wir unsere Erfolge klarer sehen und würdigen, ja feiern! Das alles verschafft uns Zutrauen und Lust, neue Wege und Strategien zu entwickeln, um Ziele zu erreichen.
Dabei muss es nicht um riesige -am-Strand-arbeiten-Villa-mit-Pool-Träume gehen. Darf es natürlich auch. Aber das kann auch sein, dass eine Frau eine unheilbare Krankheit hat und sich trotzdem ein Stück Lebensqualiät, Lebensfreude erkämpfen will. Das kann sein, dass sich eine von einer langen, sehr unglücklichen Beziehung freikämpfen will. Oder, dass ein lang gehegter Traum endgültig verabschiedet werden muss und neue Ideen für die Zukunft gefunden werden müssen, mit denen sich frau arrangieren kann. In jedem Fall geht es darum, mit sich ins Reine zu kommen. Um am Ende möglichst sagen zu können: „Ja, es war gut wie es war!“
Wie viel zählt dein Leben für dich?
Für wie wichtig hältst du dich eigentlich? Das frage ich provokativ. Denn denkst du auch manchmal, dein Leben, deine Erlebnisse seinen völlig unbedeutend, von keinem größeren Interesse? Wir Frauen sind leider Meisterinnen darin, uns klein zu machen. Nicht alle, aber leider viel öfter als Männer. Sich selbst nicht wichtig nehmen, bloß nicht in den Vordergrund spielen, nicht zu viel „verlangen“, ach es reicht schon … Das sind Glaubenssätze, die uns Frauen seit so langer Zeit allzu vertraut sind.
Bescheidenheit und sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen können gute Eigenschaften sein. Sie können aber auch dazu führen, dass wir uns selbst zu sehr beschneiden. Dass wir vieles nicht entwickeln, was in uns liegt. Dass wir als Persönlichkeit unter unseren Möglichkeiten bleiben und nicht genug zum Erblühen kommen. Und gerade uns Frauen passiert das zu oft. Das finde ich unendlich schade.
Zu oft denken wir außerdem, dass unsere Erfahrungen eben unser Privatkram sind. Das sind sie aber nicht nur. „Das Private ist politisch“ ist nicht umsonst eine gesellschaftliche Forderung der zweiten Welle des Feminismus in den 1970er Jahren. Denn wir sehen oft nicht, dass unsere scheinbar persönlichen Verhältnisse aus gesellschaftlichen Bedingungen resultieren, die wir vorgefunden haben und mit denen wir uns arrangiert haben. Arrangieren mussten. Das Schreiben gibt uns die Möglichkeit, diese gesellschaftlichen Bedingungen zu erkennen und zu sehen, wie sie unsere privaten Entscheidungen beeinflusst haben.
Wenn wir Eigenschaften, die in uns liegen, Fähigkeiten, die brachliegen, nicht weiterentwickeln, entziehen wir auch unserer Umgebung hilfreiche Ressourcen, die anderen Menschen und der Gemeinschaft von Nutzen sein können.
Das biografische Schreiben ermächtigt uns Frauen, indem es uns die Kontrolle über unsere eigenen Geschichten gibt. Wir können unsere Erfahrungen auf unsere eigene Weise darstellen, ohne die Verzerrungen und Vorurteile, die oft in der Darstellung von Frauen in der Mainstream-Literatur und -Geschichtsschreibung vorkommen. Diese Selbstermächtigung ist ein wichtiger Schritt zur persönlichen und gesellschaftlichen Befreiung.
Was in feministischen Schreibkursen anders?
- Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus: Feministische Schreibkurse bieten einen Raum, um über Geschlechtergerechtigkeit und feministische Ideen zu diskutieren. Teilnehmerinnen lernen, wie sie feministische Prinzipien in ihre Schreibprojekte integrieren können, um gesellschaftliche Ungleichheiten zu hinterfragen und zu adressieren.
- Weibliche Perspektiven und Stimmen: Diese Kurse ermutigen Frauen, ihre eigenen Perspektiven und Erfahrungen als Ausgangspunkt für ihre Schreibprojekte zu nutzen und weibliche Stimmen in der Literatur zu stärken. Teilnehmerinnen werden ermutigt, ihre eigenen Geschichten und Standpunkte zu teilen.
- **Kritische Reflexion über Geschlechterrollen**: Feministische Schreibkurse setzen sich kritisch mit Geschlechterrollen, Stereotypen und sozialen Normen auseinander. Teilnehmerinnen lernen, wie sie traditionelle Geschlechterklischees in Frage stellen und neue Möglichkeiten erkunden können.
- Empowerment und Selbstausdruck: Ein zentraler Aspekt feministischer Schreibkurse ist die Stärkung und Ermächtigung von Frauen durch das Schreiben. Teilnehmerinnen werden ermutigt, sich selbstbewusst auszudrücken und ihre Stimme zu finden, um ihre persönlichen und kreativen Ziele zu verfolgen.
- Feministische Schreibpraktiken und Strategien: Diese Kurse vermitteln praktische Fähigkeiten und Strategien, wie feministische Schreibprinzipien in die eigene Arbeit integriert werden können. Teilnehmerinnen lernen, wie sie Empathie, kritisches Denken und die Fähigkeit zur Selbstreflexion nutzen können, um feministische Themen und Anliegen in ihren Schreibprojekten zu adressieren.
- Kollektive Unterstützung und Solidarität: Einer der wichtigsten Punkte dieser Kurse ist eine unterstützende Gruppe von Frauen. Die Teilnehmerinnen ermutigen und unterstützen sich gegenseitig und lernen voneinander. Der Austausch von Erfahrungen, Ideen und Feedback fördert ein Gefühl der Solidarität und Gemeinschaft.
Zusammenfassung
Gibt es weibliches Schreiben? Ja und Nein.
Nein, weil grundsätzlich alle Geschlechter über alle Themen schreiben können. Durch das entstandene Patriarchat (manche Forschende gehen von vor ca. 5.000 Jahren der Entstehung aus) und seine weltumspannenden Folgen, die Frauen auf den zweiten Platz verwiesen haben, haben sich die Lebenswelten von Männern und Frauen getrennt weiterentwickelt. Da Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten (Bildung, Wissenschaft, wirtschaftliches Leben, Kultur usw.) herausgedrängt und in die häusliche Welt gezwungen wurden, um die männliche Herrschaft durch Reproduktion aufrechtzuerhalten, ist auch weibliches Leben aus den öffentlichen Diskursen verschwunden. An dieser Stelle setzt das Schreiben von Frauen an.
Ja. Da das männliche Leben zum normalen und alles Weibliche zur Abweichung davon erklärt worden ist, ist das Schreiben von Frauen über weibliches Leben ein politischer Akt. Deshalb ist das weibliche Schreiben entstanden, um dieser jahrtausendealten einseitigen Gesellschaftsstruktur etwas entgegenzusetzen. Insofern gibt es weibliches Schreiben, weil Leben und Fühlen von Frauen genauso in Texten sichtbar sein müssen wie das von Männern.
Wenn du also mehr über dich herausfinden willst, wenn du dich als Frau weiterentwickeln und entdecken möchtest, was alles in dir steckt, dann lies gerne in diesen Blogartikeln weiter.
Also, schreib dein Leben neu, liebe Leserin!
Herzlichst, Susanne
Liebe Susane, vielen Dank für den reichhaltigen Einblick in das Schreiben. Vieles, von dem du erzählst, kenne ich selbst. Bis haute, ist es ein riesiges Thema wie Frauen Beruf und Mutterschaft miteinander verbinden können. Selbstbestimmt und frei zu leben ist eine riesige Herausforderung für uns Frauen. So viel „selbstverständliches“ bleibt im Alltag häufig an uns hängen. Der Mann muss ja arbeiten….Ich finde es großartig, dass du uns Frauen einen Raum anbietest, in dem wir uns schreibend entdecken und reflektieren können. Die eigne Biografie im neuen Licht zu sehen, kann so heilsam sein. Begleiterinnen an unserer Seite so kräftigende. Danke für dein tolles Angebot. Ich wünsche dir das Beste. Herzlich Heike
Liebe Heike,
hab herzlichen Dank für deinen Kommentar! Es freut mich sehr, dass er dir gefallen hat. Genau das ist mir sehr wichtig, dass wir Frauen sehen lernen, dass nicht wir allein an unseren Umständen und Lebenswegen „schuld“ sind, sondern dass es gesellschaftliche Rahmenbedingungen sind (Patriarchat), fast immer zu unserem Nachteil, die wir wissen sollten. Somit können wir unseren eigenen Weg besser einordnen und uns mit mehr Selbst-Wertschätzung dahin entwickeln, wo es uns gut gut. Lieben Dank für deine Wünsche. Herzliche Grüße, Susanne